Recht Kurios - National

Weihnachtshasen, Sandburgenverbot, Todesstrafe, Sonnenschirmfarbe und verbotener Widerwillen beim Sex - es sind nur einige merkwürdige Beispiele für den entweder antiquierten oder fortlaufend zunehmenden Gesetzes-, Verordnungs- und Regulierungswahn in Deutschland. Wir sehen es überall und können oft nur den Kopf schütteln: Straßenverkehr, Bauamt, Lebensmittel, Fußball, Unternehmensgründungen und anderswo:  Zu allem und jedem gibt es Vorschriften, Regularien, Bestimmungen, Verordnungen oder Gesetze. Der Grund dafür sind nicht immer Gesetzgeber mit Wahnvorstellungen. Es gibt in Deutschland insgesamt ca. 150.000 Einzelvorschriften, geregelt in den ca. 2200 Bundesgesetzen mit ca. 46 800 Einzelvorschriften und weitere ca. 3200 Verordnungen mit ca. 40.000 Einzelvorschriften. Hinzu kommen unzählige Landesgesetze und Regelungen der Europäischen Union (EU). 

 

Diese oftmals unnötige Bürokratie ist bedauerlicherweise nicht nur, aber auch eine Facette unserer Gesellschaft - die nichts dem Zufall überlassen will und bestrebt ist, das Selbstverständliche zu regulieren. Die legendäre deutsche Ordnung ruht auch darauf, dass die Deutschen eben ziemlich oft und gern Verantwortung an den Staat abgeben. Sie wollen für alles eine klare Regelung und beschweren sich dann darüber, dass ihnen in allen Bereichen vieles vorgeschrieben wird. Viele unsinnige Vorschriften basieren auf Urteilen und so gibt es in Deutschland eine Reihe von Gesetzen, die einfach nur dämlich oder zumindest zweifelhaft sind. Sozusagen der Wildwuchs im Paragraphendschungel. Nicht, dass wir uns missverstehen: Gesetze sind notwendig - solange menschliche Vernunft nicht allmächtig ist. Aber: Gesetze müssen sinnvoll, der Zeit angemessen, verständlich, klar und präzise formuliert sein.

 

Was Anwälte und Richter mitunter der Zeit für wirklich wichtige Entscheidungen beraubt, ist kompletter Irrsinn. Da gibt es Klagen auf Schadensersatz für Beischlaf, dem Eigentumsrecht an Hundekot, Klagen gegen Wahrsager wegen nicht erfüllter Prophezeiungen, unzufriedene Urlauber wüten nach "unharmonischen Intimverkehr" in Hotelbetten geringerer Größe gerichtlich gegen Reiseveranstalter. Möglich machen diese und andere skurrile Fälle die oftmals noch seltsameren Gesetze. Deutschland ist in einigen Kategorien Weltmeister auch in der Bürokratie. Wir haben die Kuriositäten der Gesetzgebung und Gerichtsurteile zusammengetragen, diese so klar wie möglich belegt und einige weit verbreitete - angebliche oder nicht mehr aktuelle - Kuriositäten räumen wir hingegen aus:

Helgoland

Fußgängerzone Helgoland

Ein Kurztrip ins Einkaufsparadies Helgoland? Die Zollbestimmungen sind Gesetz und man sollte nicht mehr kaufen als man darf oder gar tragen kann. Der Kofferraum (keine Kraftfahrzeuge!) oder Körbchen und Lenkrad am Fahrrad sind Fehlanzeige: „Radfahren ist auf der Insel Helgoland lt. § 50 der StVO nicht erlaubt".

Ausnahme: Kinder bis 14 Jahre in der Zeit vom 01.10. bis 31.03. Das Fahrradfahrverbot auf Helgoland ist mehrere Jahrzehnte alt. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt auch bei den wenigen möglichen Ausnahmen 10 km/h. Polizei, Ärzte und Feuerwehr auf Dienstfahrt sind allerdings vom Verbot ausgenommen.

Hessen

Todesstrafe in Hessen

Es wurde viel zitiert und kritisiert - die Verantwortlichen in Hessen haben es trotzdem noch nicht geändert und ermöglichen lt. Landesverfassung Hessen die Todesstrafe, wie folgt in Artikel 21 Abs. 1: „Ist jemand einer strafbaren Handlung für schuldig befunden worden, so können ihm auf Grund der Strafgesetze durch richterliches Urteil die Freiheit und die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen oder beschränkt werden. Bei besonders schweren Verbrechen kann er zum Tode verurteilt werden". Immerhin sagt Artikel 21 Abs. 3: „Alle Gefangenen sind menschlich zu behandeln“.

Jedoch besagt der Artikel 32 des Grundgesetzes: "Bundesrecht bricht Landesrecht“ macht die Verurteilung zur oder gar Vollstreckung der Todesstrafe unmöglich. Im Bundesrecht ist die Todesstrafe längst abgeschafft.

Hessen, Bad-Sooden-Allendorf

Farbe  und Größe der Sonnenschirme nach Satzung

Pingelig oder kulturell wichtig? Möge sich jeder seine eigene Meinung bilden, ins kleinste Detail vorgegeben ist die Gestaltung der historischen Stadtkerne in Bad Sooden-Allendorf. In der Satzung heisst es (neben zahlreichen anderen Vorschriften) unter § 10 Punkt 6: „Sonnenschirme müssen beige-, pastell- oder sandfarbig sein und sich in der Größe der Gebäudeausdehnung und der Nutzung unterordnen. An ihnen darf keine Werbung angebracht sein. Die max. Größe darf 25 qm nicht überschreiten“. Immerhin - 25m² große Sonnenschirme sind erlaubt. Wer sich nicht an die peniblen Vorgaben hält, riskiert ein saftiges Bußgeld!

Mecklenburg-Vorpommern

Bürokraten-Irrsinn EU-Richtlinie „Seilbahn“

Besonders kurios ist das Gesetz über Seilbahnen in Mecklenburg-Vorpommern (Landesseilbahngesetz - LSeilbG M-V).

Warum? Es gibt hier keine einzige Seilbahn! Die Bürokraten der europäischen Union haben in einer EU-Richtlinie das Gesetz trotzdem notwendig gemacht - egal ob Seilbahn oder nicht.  Bei Nichteinführung hätten Strafen bis zu 791.000 Euro täglich gedroht!

Nordfriesland, Sylt

Kein Hund, wenig Alkohol, keine Sandburgen, Abends nicht am Strand einschlafen

Der Strandurlaub kann schnell zum Behördenfiasko werden, wenn es nach den Verwaltungen einiger Gemeinden geht. Sandburgen bauen gehört an vielen Orten der Nord- und Ostsee eindeutig der Vergangenheit an. Sandburgen verboten! Als Beispiel haben wir uns mit der Satzung der Gemeinde Sylt beschäftigt, Urlaub ist dort ohnehin nicht preiswert - er kann noch teurer werden, wenn man sich nicht an die knallharte Strandordnung hält. Verboten ist so einiges lt. „Satzung der Gemeinde Sylt über die Einschränkung des Gemeingebrauchs am Meeresstrand“:

 

Hund am Besten zu Hause lassen: § 2 Abs.1 „…In der Zeit vom 15. März bis zum 31. Oktober ist das Mitführen von Hunden ausschließlich an den besonders gekennzeichneten Strandabschnitten (Hundestrand) zulässig. Zudem ist es in dieser Zeit nicht gestattet, Strandabschnitte, die nicht als Hundestrand ausgewiesen sind, zu durchqueren oder sich dort niederzulassen.“ Anmerkung: Hundestrände gibt es auf Sylt nur sehr wenige, also nichts mit langen vierbeinigen Strandspaziergängen.

Eimer und Schaufel zwecklos: § 2 Abs. 4 Punkt 2. Nicht gestattet ist es, „im Strandbereich Burgen zu bauen oder Löcher zu graben“.

Nicht einschlafen, kein Lärm, wenig Alkohol: § 2 Abs. 4 Punkt 15. Nicht gestattet ist es „am Strand zu übernachten, zu zelten, lautstark zu feiern oder zu musizieren, Alkohol in nicht geringen Mengen zu konsumieren“.

 

Die Konsequenzen sind auch gleich in § 5 geregelt: Wer sich nicht daran hält, was Sylt will, handelt fahrlässig oder vorsätzlich ordnungswidrig - „Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 1.000 Euro geahndet werden“.

Bundesweit!

Berufsunfähigkeit von Toten

Der Steuergesetz-Dschungel der Bundesrepublik Deutschland ist nicht nur schwer verständlich, sondern manchmal einfach nur seltsam. So erklärte das Bundesfinanzministerium in einer Ausgabe des Bundessteuerblatts, dass der Tod keinesfalls als "dauernde Berufsunfähigkeit" anzusehen sei. Im Sinne des § 16 Einkommensteuergesetzes ist es somit nicht möglich, den Tod eines Steuerpflichtigen als dauernde Berufsunfähigkeit zu werten und so den erhöhten Freibetrag abzuziehen. Damit will der Fiskus verhindern, dass ein Ableben als Steuervorteil geltend gemacht werden kann. Eine andere Formulierung hätte sicher für weniger Kopfschütteln gesorgt, besonders bei trauernden Hinterbliebenen.

Der Führer auf den Straßen

Political Correctness in deutschen Gesetzen? In deutschen Ministerien ist man scheinbar mehr mit der Klärung unnützer Namenregulierungen (vegetarische Würste) beschäftigt. Noch immer nicht angepasst wurden das StVG (Straßenverkehrsgesetz) und das StVÜb (Straßenverkehrsübereinkommen).

 

In § 18 Abs. 1 S. 2 StVG eindeutige Klärung der Schuldfrage:

"Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Schaden nicht durch ein Verschulden des Führers verursacht ist.“

 

In Kapitel II Art. 8 Abs. 3 des Straßenverkehrsübereinkommen (StVÜb) werden folgende Anforderungen stellt:

"Jeder Führer muß die erforderlichen körperlichen und geistigen Eigenschaften haben und körperlich und geistig in der Lage sein zu führen."

Flüchtende Bienenschwärme, zählende Imker, rasende Eigentümer

§ 961 BGB: Vorsicht Eigentum in Gefahr! Ein Bienenschwarm wird herrenlos, wenn der Eigentümer ihn nicht unverzüglich verfolgt oder wenn er die Verfolgung aufgibt. Dafür hat der verfolgende Imker aber auch rechtliche Privilegien: 

 

§962 BGB: Vom Eigentümer zum Einbrecher! Der Eigentümer des Bienenschwarms darf bei der Verfolgung fremde Grundstücke betreten. Ist der Schwarm in eine fremde nicht besetzte Bienenwohnung eingezogen, so darf der Eigentümer des Schwarmes zum Zwecke des Einfangens die Wohnung öffnen und die Waben herausnehmen oder herausbrechen. Er hat den entstehenden Schaden zu ersetzen..

 

§ 963 BGB: Zählende Imker: Vereinigen sich ausgezogene Bienenschwärme mehrerer Eigentümer, so werden die Eigentümer, welche ihre Schwärme verfolgt haben, Miteigentümer des eingefangenen Gesamtschwarms; die Anteile bestimmen sich nach der Zahl der verfolgten Schwärme.

Hin- und Her beim Umweltschutz?

Umweltschutz ist zweifellos wichtig -  fast überall! Mit dem Thema befasst sich die Straßenverkehrsordnung (StVO) unter anderem im § 30 Abs. 1. Gut, dass zumindest innerorts geklärt ist, wie man sich zu verhalten hat. 

 

StVO § 30 Abs. 1: "Unnützes Hin- und Herfahren ist innerhalb geschlossener Ortschaften verboten, wenn Andere dadurch belästigt werden.“ Innerhalb geschlossener Ortschaften darf man also unnütz hin- und herfahren, wenn man dadurch niemanden belästigt. Außerhalb geschlossener Ortschaften darf man immer unnütz hin- und herfahren, egal ob man Andere belästigt oder nicht.

Hund mit Zahnersatz

Ein Evergreen unter den „kuriosen“ Urteilen im Netz und in Lehrbüchern ist auch die Sache mit dem Hund und dem geklauten, vergrabenen Gebiss. Dabei ist das Urteil gar nicht seltsam, viel mehr lässt der Anlass der Klage und die Urteilsbegründung die Lachmuskeln in Aktion treten. Das Juristendeutsch - in diesem Zusammenhang - ist herrlich.

Hier ein paar Auszüge aus dem Urteil des LG Hannover AZ 18 S 86/04 vom 22. März 2005:

 

„Versicherungsschutz in der Haftpflichtversicherung: Abgrenzung zwischen "Vernichtung" und "Entwendung" bei Wegnahme eines Zahngebisses durch einen Hund und Vergraben im Garten“ 

 

„Die Parteien streiten darüber, ob die Wegnahme des Gebisses durch den Hund des Klägers ein Entwenden oder aber eine Beschädigung oder Vernichtung von Sachen darstellt, wobei nur letzteres gemäß § 1 AHB Versicherungsschutz genießt.“

 

„Entgegen der Ansicht der Beklagten ist hierbei nicht in erster Instanz unstreitig gewesen, dass der Hund den Zahnersatz des Bruders des Klägers in der Reinigungsbüchse weggetragen hat. Vielmehr ergibt sich aus dem Schreiben des Bruders des Klägers an die Beklagte vom 30.9.2003, dass der Hund den Zahnersatz in seinem Maul hatte. Der Bruder des Klägers hat den Vorfall in der Schadensanzeige u.a. wie folgt geschildert:

 

„Als ich wieder kam, musste ich mit Entsetzen feststellen, dass der Hund „Apollo„ am Nachttisch war und meine Reinigungsbüchse für meinen Zahnersatz herunterriss und meinen Zahnersatz aus dem Haus trug und im Garten irgendwo vergrub.„

 

Da der Zahnersatz auch 1 1/2 Jahre nach dem Vorfall bisher nicht wieder aufgetaucht ist, ist zur Überzeugung des Gerichts von einer Zerstörung des Gebisses i.S.d. Versicherungsbedingungen auszugehen.

 

Es spricht zum einen die allgemeine Lebenserfahrung dafür, dass ein Hund mit einem Zahngebiss im Maul nicht derart vorsichtig umgeht, dass dieses unbeschädigt nach einer entsprechenden Reinigung wieder verwandt werden kann….Bei einem Gebiss, das 1 1/2 Jahre unauffindbar im Garten des Klägers liegt, kann daher ernsthaft nicht mehr nur von einem bloßen Besitzverlust gesprochen werden, der zum Beispiel bei einer gestohlenen Sache auch nach einem Zeitablauf von 1 1/2 Jahren noch gegeben ist. Vielmehr ist aufgrund der Witterungseinflüsse von einer dauerhaften Beschädigung des Zahngebisses auszugehen, so dass eine objektive Zerstörung vorliegt.“ 

 

Fazit: Die Versicherung muss zahlen.

Unwahr!

Verstorbene Beamte auf Dienstreise

Auf unzähligen Webseiten und in anderen Medien wird die Sachlage mit dem verstorbenen Beamten und der Dienstreise zitiert, wobei man sich regelmäßig auf das Landesreisekostengesetz NRW beruft.

Angeblich steht dort „Nach § 26 Landesreisekostengesetz NRW: Wenn ein Beamter während der Dienstreise stirbt, so ist die Dienstreise beendet.“ Dieser Passus lässt sich im Landesreisekostengesetz NRW auch rückwirkend (vor 2000) nicht finden, der § 26 selbst ist seit dem Jahre 2000 nicht mehr vorhanden.

 

Weihnachtshasen

Eine beliebte Anekdote im Netz und in Büchern ist der Satz „Weihnachtsmänner im Sinne dieser Regelung sind auch Osterhasen“. Das lustige Konstrukt soll in der Reichsschokoladenverordnung der 30er Jahre gestanden haben.

Prof. Dr. Andreas Piekenbrock hat in einem Aufsatz für Aufklärung gesorgt: In der Zeit von 1919 bis 1945 im Reichsgesetzblatt findet sich kein Hinweis auf Weihnachtsmänner oder Osterhasen, auch eine Reichsschokoladenverordnung existierte nicht…

Quellen:

Altstadtsatzung Bad Soden - Allendorf, Bekanntmachung (bad-soden-allendorf.de)

Arbeitsunfall Urteil SG Dortmund, 22.09.1998 - S 36 U 294/9 (dejure.org)

BGB § 961; § 962; § 963; § 979; § 981; § 982; § 1314 (dejure.org; gesetze-im-internet.de; openjur.de)

Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946 (KirchE), Namensrecht, S. 247, Entscheidung des OLG Bremen 1 W 49/95,StAZ 1996, 0086 und

Rechtssprechung OLG Bremen 10.01.1996 (Wikipedia; vfst.de)

EuGH Urteil Urlaubsanspruch nach Tod (curia.europa.eu)

GemO §10 Abs.1 (landesrecht-bw.de)

GO NRW 3. Teil § 21 Abs. 1 (recht.nrw.de)

Hessische Verfassung (starweb.hessen.de)

Landesreisekostengesetz (LRKG) - NRW (recht.nrw.de)

Landesseilbahngesetz - LSeilbG M-V (lexsoft.de)

Ortsrecht Helgoland (helgoland.de)

Prof. Dr. Andreas Piekenbrock Aufsatz, [JURA - Juristische Ausbildung. Band 37, Heft 4, Seiten 336–340, ISSN (Online) 1612-7021, ISSN (Print) 0170-1452, DOI: https://doi.org/10.1515/jura-2015-0073, March 2015 (degruyter.com)]

Satzung über Einschränkung des Gemeingebrauchs am Meeresstrand (gemeinde-sylt.de)

SJSchildlV § 4 (beck.de)

StPO § 87 (dejure.org)

StVG § 18 (dejure.org)

StVO § 27; § 30 (gesetze-im-internet.de; dejure.org)

StVÜb Kapitel II Art. 8 (beck-online)

Urteil BGH zum ehelichen Verkehr vom 02. November 1966, AZ  IV ZR 239/65 (openjur.de)

Urteil Gebisswegnahme durch Hund LG Hannover, 22. März 2005, AZ 18 S 86/04 (openjur.de)

Wikimedia Commons

 

 

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